Erfahrungsberichte: Renés Geschichte
Niedergeschrieben und an tate.at geschickt von Renés Mutter.
DANKE!
Eines meiner vier Kinder, René (20. 12. 1994), er ist der zweitälteste,
gehört zur Kategorie "Problemkind", "ADS-Syndrom",
"im sozialen Verhalten schwach" usw.
Eigentlich war er (im Gegensatz zu seinem 14-jährigen Bruder) ein
ganz ruhiges Baby. Als er 16 Monate alt war, kamen noch die Zwillingsmädchen
auf die Welt, die bis heute in der Familie dominieren. Lange kein Problem,
jeder, der auf Besuch kam stürzte sich auf die "süßen
Mädchen". Er hielt sich im Hintergrund, beschäftigte sich
stundenlang allein mit Lego bauen. Auch heute noch. Kein Weinen und vor
allem kein Schmerzempfinden bei Stürzen usw.
Auffällig war, dass er lange Zeit nicht fähig war, Emotionen
zu zeigen, keine Gefühlsausbrüche, kein Auf-jemanden-Zustürmen,
keine Begeisterung. Pflegeleicht - nach außen. Aber immer äußerst
sensibel und introvertiert.
Im Kindergarten fiel auf, dass er keinen Spaß am gemeinsamen Basteln,
Bauen usw. hatte, sich langweilte und keine gleichaltrigen Freunde fand.
Von denen wurde er als komisch eingestuft. Aber mit älteren Kindern
(mindestens zwei Jahre und mehr) verstand er sich prima.
Im ersten Halbjahr der Volkschule wurde ich darauf aufmerksam gemacht,
dass das Kind völlig hinten sei, nicht konzentriert ist (wenn ihn
was interessiert, kann er sich stundenlang konzentrieren), sich umdreht
und zu pfeifen beginnt, wenn er sich langweilt oder den Klassenclown spielt.
Nachdem die ersten 15 Buchstaben durchgemacht worden waren, fing er aber
an, alles zu lesen, was ihm in die Hände kam. Lexika, Dinosaurier-Bücher,
Technik, alles, nur nicht die Bücher, die sie aus der Bücherei
ausleihen mussten, um sie daheim zu lesen. Das war Babykram. Trotzdem
- in Rechnen füllte er keine Tests aus, bis endlich die Mal-Reihen
(kleines Einmaleins) dran kamen. Beim ersten Mal 0 Fehler, dann wieder
leere Tests, die Lehrerin musste eingestehen, dass er Rechnen doch kapiert
hatte, aber seine Bereitschaft und sein soziales Verhalten große
Defizite aufweist. Seine Antwort auf meine Frage, warum er die Tests nicht
ausfülle:" Warum soll ich das noch mal schreiben, wenn ich es
eh schon einmal gemacht hab? Die Lehrerin muss ja mal kapieren, dass das
immer das gleiche ist."
Mit sechs Jahren beim Trivial-Pursuit-Spielen konnte sein Vater nicht
beantworten, welcher der größte Planet in unserem Sonnensystem
sei. Logisch für René: der Jupiter. Woher er das wusste? Das
weiß doch jeder!
Beim Essen: ich nehm die "Fusion" zu meinem Leberkäse!
Welche Fusion? Na das Thomy! Wieso Fusion? Logisch - eine Fusion aus Ketchup
und Mayo. Was ist eine Fusion? "Verschmelzung zweier oder mehrerer
Stoffe, oder soll ich dir das ausführlicher erklären? Du weißt
ja wirklich nichts, Mama!"
Manchmal denk ich, dass ich ihn und seine Gedankengänge nicht verstehe,
ihm aber auch nicht helfen kann.
Vor zwei Wochen ist er in der Schule schwer gestürzt (Kieferbruch,
Schädel-Hirn-Trauma). Keiner hat ihm geholfen. Eine Woche daheim,
Hausübung machen. Neu: Hunderter-Zahlen untereinander multiplizieren.
Ich setze zum Erklären an, er unterbricht mich, fragt, ob ich ihn
für blöd halte, das sei ja noch einfacher als nebeneinander
zu rechnen. Ich (ganz schlau) frag, was er mit den Zehnerstellen macht,
die überbleiben, kommt ein vernichtender Blick, kein Wort, und er
rechnet ohne Fehler drauf los, in einem Tempo, dass ich mit dem Taschenrechner
nicht nachkomme mit dem Eintippen. Logisch, dass die Zehner nach vorne
mitgenommen werden, wo sollen sie denn sonst hin?
Sachunterricht: Test über den Heimatort. Nicht eine Frage ausgefüllt.
Weil: das weiß doch jeder der hier wohnt und so langweilige Fragen
beantwortet er nicht, weil es Interessanteres gibt. Erderuption, Lichtgeschwindigkeit.
Aber na gut, wenn er deshalb einen Fünfer kriegt, schreibt er das
halt das nächste Mal hin. Dann freut sich die Lehrerin.
Aufgefallen ist mir auch, dass er sich schwer tut, die langsamen Rechenschritte
aufzuschreiben, weil das Ergebnis eh im Kopf schon da ist. Und weil das
so umständlich und fad ist.
Er liebt es, stundenlang Schach zu spielen, Risiko (ein Strategiespiel),
notfalls auch Monopoly oder Sequence, falls seine Geschwister nichts anderes
wollen.
In der Schule geht es jetzt nach seinem Unfall besser, aber er fühlt
sich von niemandem verstanden. Wenn er interessante Sachen erklären
will, lachen sie ihn aus. Dann wird er wieder zum Clown. Er hat aber seit
1. Dezember eine sehr gute Junglehrerin, die wirklich versucht, ihn zu
fördern.
In Deutsch und Schreiben ist er zwar von seinem Verstand und den Arbeiten
gut, aber er lässt ganze Wörter aus, obwohl er sehr schnell
schreibt. Seit sie mit Adjektiv-Nomen arbeiten, Wörter selber suchen
müssen wie sicher-Sicherheit, Verb-Nomen wie heizen-Heizung, kommt
aber auch da vermehrtes Interesse. Solche Dinge machen ihm Spaß.
Hochbegabt würde ich mein Kind nicht nennen. Er hat spezielle Interessen,
denen es auch intensiv nach gibt.
>>> Ich möchte
auch einen Bericht schreiben!
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